** Die Schifferfamilie ERNST in Bendorf **
von Dr. Albrecht Erlenmeyer (Auszug aus der BENDORFER
ZEITUNG vom Mittwoch, dem 16. Juli 1924)
In vielen Orten des linken Rheinufers, auf dem der Leinpfad
lief, wohnten Familien, die enge Beziehungen zur Schifferei und Halfterei
hatten und dadurch Verdienst und Auskommen fanden. Die Männer arbeiteten
und wirkten mit ihren Gehilfen, Knechten und Gesellen als Schiffer. Halfer,
Leinenschlepper, Pferdebesitzer, Wirte, Seiler und Segelmacher, die Frauen
sorgten für die Unterkunft, Beköstigung, Reinigung und Instandhaltung
von Kleidern und Wäsche sowohl ihrer Angehörigen als auch der fremden,
meistens am Abend einkehrenden und nächtigenden Schiffer und Halfer.
Es wäre den Tatsachen nicht entsprechend, wenn man sich vorstellen wollte,
daß vor der Einführung der Dampfschiffe der Schiffsverkehr auf
dem Rhein nur geringen Umfang gehabt hätte. Selbstverständlich ist
die Zahl der Segelschiffe niemals so groß gewesen wie heute, wo sie
mehrere Tausende beträgt, aber man muß den Schiffsverkehr schon
in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als so bedeutungsvoll einschätzen,
daß ganze Dörfer durch ihn zu Wohlstand gekommen sind.
Die Familie der Satzschiffer Dott in Kaltenengers diente
ausschließlich der Halferei und hielt 12, die Gebrüder Peter und
Johann Keßler zu Weißenthurm, deren Vater 1784 zu Urmitz
geboren war, hatten 12 bis 14 Pferde, mit denen sie vorzugsweise die Schiffe
von Matthias Stinnes und Franz Haniel schleppten. Auch auf der rechten Rheinseite,
selbst da, wo kein Leinpfad war, gab es Schifferfamilien, die Kähne
und Schiffe besaßen, mit denen sie den Rhein hinaus bis Mannheim und
hinunter bis Rotterdam befuhren und den Güterverkehr vermittelten. sie
nahmen Halfer und Pferde von der linken Rheinseite in Anspruch, bevor sie
letztere nicht selbst besaßen. Eine solche rechtsrheinische Schifferfamilie
war die Familie Ernst in
Bendorf am Rhein
. Wir älteren Einwohner Bendorfs erinnern uns noch lebhaft an Johann
Ernst, den "Kaptain", wie er sich mit berechtigtem Stolze gerne nennen ließ,
und können uns noch gut vorstellen, wie er aufrechten Ganges - er war
5 Fuß 8 Zoll groß - mit schwarzer Halsbinde angetan, sein "Patent
zum Betriebe der Rheinischen Schiffahrt und zur Führung eines Dampfbootes"
allezeit bei sich tragend, durch die Straßen der Stadt ging. Er war
der älteste von 5 Brüdern, die alle zuerst Schiffer waren und später
Hausbesitzer und Gastwirte wurden. Drei Schwestern und ein früh verstorbener
Bruder sollen hier außer Betracht bleiben. Diese 5 Brüder waren
die Söhne von Christian Ernst und seiner Ehefrau Elisabeth geb. Heßler,
einer Bendorferin, deren Eltern in der Entengasse gewohnt haben sollen. Christian
war am 11. Dezember 1795, seine Frau am 7. November 1793 geboren, sie hatten
am 2. Oktober 1821 den Bund der Ehe geschlossen und sind am 8. Januar 1865
bzw. am 22. Januar 1879 hier in Bendorf gestorben. Christian hatte als 20
jähriger die Schlacht bei Waterloo mitgemacht. Daß er das Schiffereigewerbe
ausgeübt und zwar mit Eifer und Erfolg bis zu seinem Tode ausgeübt
hat, darf aus dem auf seinem Grabstein befindlichen Hinweis darauf geschlossen
werden. Auf dem unter einer weit verzweigten Traueresche liegenden Grabstein
sieht man oben über der Inschrift einen Kahn oder Nachen, der keinen
Mast trägt und der, obwohl ihm der Aufbau fehlt, die Arche Noah darstellen
soll, denn über dem Ende dieses durch einfachste Strichzeichnung hergestellten
Fahrzeuges schwebt die Taube mit dem Ölzweig im Schnabel. Auffallend
ist, daß die Taube nicht in der Stellung der Rückkehr, sondern
in der des Ausfliegens dargestellt ist und daß sie im Verhältnis
zu dem Kahn viel zu groß erscheint. Von der Spitze des letzteren hängt
ein Anker herab und über dem Kahn sieht man ein Herz, aus dem sich nach
oben ein Kreuz heraushebt, also die Symbole von Glaube, Liebe und Hoffnung.
Die Inschrift unter Namen, Geburts- und Sterbedatum lautet:
Mein Anker im Scheiden war Christi Leiden.
Im Kreuz fand mein Herz den Trost im Todesschmerz
weist also auch auf die erwähnten drei Symbole hin.
Bei den Nachkommen dieses Christian Ernst ist bis auf den heutigen Tag die
Ansicht verbreitet, er sei von der Mosel her, wahrscheinlich von Alf hier
eingewandert und entstamme einer moselaner Schifferfamilie. Diese Ansicht
wurde dadurch gestützt, daß Christian öfter nach Alf gereist
ist, angeblich um einen dort lebenden Bruder zu besuchen. An diesen Reisen
nach Alf soll nicht gezweifelt werden, aber trotzdem ist die Annahme dieser
Abstammung nicht zutreffend. Das Familienbuch der kathol. Pfarrei hierselbst
sagt auf Seite 188, daß
Christian Ernst der eheliche Sohn des
Johann Peter Ernst und der Anna Maria Gemün zu Bendorf
gewesen, also hier geboren und nicht hierher eingewandert
ist. Das Verzeichnis aller Einwohner in Bendorf, so um 31. Dezember 1774 darin
befindlich gewesen, führt folgende Mitglieder der Familie Ernst an:
1. unsern Hans Johann Peter mit Frau, Sohn und 3 Töchtern.
Dieser Sohn ist unser Christian, der also keinen Bruder hatte, ihn also auch
nicht in Alf besuchen konnte.
2. Johann Henrich mit Frau, Sohn, Tochter und 1 Gesellen.
3. Philipp, ledigen Standes, "so vor sich lebte" und damals
"außer Landes", also ausgewandert war.
Wenn dieser ledige Philipp ein Bruder des Hans Peter gewesen
und nach Alf ausgewandert ist, dann hätte Christian dort zwar nicht seinen
Bruder, aber seinen Onkel besucht. Das wäre gut möglich gewesen.
Es fragt sich nur, ob diese Annahme in den Alfer Kirchenbüchern eine
Stütze findet. Das aber ist nicht der Fall. Das katholische Pfarramt
in Alf hat mir geantwortet, daß die Familie Ernst erst nach 1814 dort
vorkomme und zwar in der Person eines Bartholomäus Ernst, dessen Ehefrau
Maria Josepha Man am 14. März 1844 dort gestorben ist. Das Sterbedatum
des Bartholomäus sei nicht auffindbar. Weitere Mitteilungen fehlen leider.
Wenn der Alfer Pfarrer hinzufügt, es schiene dieser Bartholomäus
ein Bruder von Christian gewesen zu sein, auf den ich ihn aufmerksam gemacht
hatte, so ist diese Annahme hinfällig, weil Christian, wie ich gesehen
hatte, keinen Bruder hatte. Ebenso ist die Angabe des Alfer Pfarrers "er
- nämlich der Bartholomäus - soll von Bendorf hierher gezogen sein"
nicht zu stützen. Bartholomäus war kein Schiffer, sondern in der
früheren Remn'schen Eisenhütte auf der Alf beschäftigt.
Über die Vorfahren des Hans Peter war nichts festzuhalten,
weil die hiesigen katholischen Kirchenbücher nicht über den Anfang
des vorigen Jahrhunderts hinausreichen. Daß Christian E r n s t der
Schifferei ergeben war, dürfen wir auch aus anderen Zeichen schließen.
Er erwarb das heute dem Bäckermeister Herrn Geissen gehörige Haus
in der Adolf-Albrechtstrasse und nannte es "Zum Schiff" .An der Außenseite,
da, wo jetzt das von dem verstorbenen David Schiffer geschmiedete Bäckerzeichen
hängt, ließ er das Bild eines Schiffes anbringen und im Hausgang
hing er das Holzmodell eines solchen auf. Er richtete dieses sein Haus als
Wirtshaus ein und schuf im oberen Stock einen Tanzsaal. Herr Meurer, der
das Haus früher besessen hatte, hat den Verputz abschlagen lassen, wodurch
die hübsche Balkenkonstruktion des oberen Stockwerkes zu Tage getreten
ist. Das Haus soll 181o erbaut worden sein. Mit welchem Schiff Christian
auf dem Rhein gefahren ist, war nicht mehr aufzuklären.
Seine fünf Söhne hat er zu diesem Gewerbe von Jugend
an erzogen und herangebildet. Alle sind tüchtige Männer in diesem
Wasserberufe geworden, den sie mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit, auch
mit Erfolg bis in die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein ausgeübt
haben, also in eine Zeit hinein, die einerseits durch die außerordentliche
Vermehrung der Dampfschleppschiffe, andererseits durch die im November 1869
eröffnete rechtsrheinische Eisenbahn dem Kleinverkehr der Fracht- und
Segelschiffe auf dem Rhein ein Ende bereitet hat. Jeder der 5 Brüder
Ernst hat aber als Erfolg fleißiger Schifferarbeit ein eigenes Haus
mit Gastwirtschaft erworben, auch darin auf den Spuren des Vaters wandelnd:
J o h a n n, der älteste (2.6.1822 bis 19.6.19o3) verh.
mit Magdalene geb. Flohr, das Haus " Zur Rheinfahrt'' am Rhein;
J a k o b (17.3.1826 bis 22.4.19o1) verh. mit Anna geb.
Marzi vom Zoll bei Grenzhausen den "Anker"
N i c o 1 a u s (21.5.1831 bis 26.2.1876) verh. mit Marianne
geb. Ball, das Haus "Zur guten Quelle"
H e i n r i c h (15.4.1833 bis 9.11.1875) verh. mit Hermine
geb. Lecour aus Wesel das Haus des Fuhrmanns und Kutschers Schmidt (gen. Binsge)
im Andorf, das jetzige Haus Nik;
C h r i s t i a n (2o.1.1839 bis 3o.12.1914),verh. mit Katharina
geb.Ball, das Haus "Die Traube".
In Bezug auf die technische Ausübung der Schifferei
hat es J o h a n n am weitesten gebracht, er allein von den Brüdern erwarb
später nicht nur das "Patent zum Betriebe der Rheinischen Schiffahrt,
sondern auch zur "Führung eines Dampfbootes". Dieses Patent ist von der
Kgl. Preuss. Regierung zu Cöln am 16. April 1853 ausgestellt auf Grund
des protokollarischen Gutachtens der Prüfungskommission vom 8. April
desselben Jahres. Aus ihm ersehen wir, daß Johann dessen Signalement
ganz genau in dem Patent angegeben ist, das Schiff "Marie Louise" fuhr, das
eine Ladungsfähigkeit von 207 Zentnern hatte, was der Bürgermeister
von Bendorf, Herr Liers, am 5. November 1853 bestätigt hat. Auf Grund
dieses Patentes, das noch gut erhalten im Besitze von Johann's Sohn Eduard
ist, ließ sich Johann mit Vorliebe, aber auch mit vollem Recht, Kapitän
nennen, eine Bezeichnung, die auch auf seinem Grabstein nicht vergessen ist.
Dieser Liliputkahn, dessen Ladefähigkeit einen kleinen Eisenbahnwaggon
nicht überschritt, wurde später durch größere ersetzt,
mit denen Johann bis Ruhrort, selbst bis Rotterdam gefahren ist. Auch erwarb
er bei guter Gelegenheit um Oberrhein alte, außer Dienst gestellt Schiffe,
setzte sie wieder in Stand, belud sie mit Gütern aller Art auf eigene
Rechnung, und verkaufte dann am Niederrhein oder in Holland Schiff und Güter
mit Verdienst. Von Bendorf fuhr er regelmäßig zweimal wöchentlich
nach Koblenz, brachte allerhand Güter dorthin und machte Botengänge
und Besorgungen, so wie es heutzutage die Fuhrleute tun. An regelmäßigen
Ladungen waren ihm zugewiesen Körbe und Eichorienpäckchen aus den
beiden hiesigen Eichoirenfabriken. Diese Körbe wurden in Koblenz gewöhnlich
auf Moselschiffe umgeladen. ferner lud er feuerfeste Steine der Fabriken
von Simon Flohr, Neizert in Bendorf und Susewind in Sayn und fuhr sie rheinabwärts,
sehr oft nach Remagen an die Firma Reuleux & Müller. Ebenso verfrachtete
er Grenzhäuser und Höhrer "Erdegeschirr" und Tonwaren, die in Vallendar
ins Schiff geladen wurden, rheinabwärts.
Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre hat er
eine kurze Zeit lang auf einem kleinen Dampfschiffchen Personen und Güter
von hier über Vallendar nach Koblenz gefahren. Die Haltestelle war dort,
wo jetzt die Überfahrstelle nach St-Sebastian ist. Der Preis von zweieinhalb
Silbergroschen war dem Publikum aber zu hoch, die Fahrten fanden zu unregelmäßig
statt und dauerten zu lange, was an der zu schwachen Maschine lag. Infolge
dessen ging das Unternehmen bald wieder ein. Aus dem Ankauf des größeren
Dampfers "Stolzenfels" der eine stärkere Maschine hatte und 8000 Taler
kosten sollte, wurde nichts, denn Johann konnte nur 7000 Taler bieten.
Wenn die Wallfahrt nach Bornhofen ging, halferte er mit einem
oder zwei Pferden nach brachte die Leute in seinem Schiffe wieder nach Hause.
Das betraf sowohl die Wallfahrt von Bendorf wie die aus den überrheinischen
Orten. Bei allen diesen Fahrten wurden die Brüder mitgenommen und mußten
tüchtig schaffen und helfen, bis sie selbständig wurden, sich eigne
Schiffe anschafften und das Patent zum Betrieb der Schiffahrt durch eine
Prüfung erwarben. Die Patente von Heinrich und Christian sind noch vorhanden,
sie haben den gleichen Wortlaut wie "Patent zum Betriebe der Rheinischen
Schiffahrt und zur Führung eines Dampfbootes". Alle sind von der Kgl.
Preuss. Regierung zu Cöln ausgestellt.
Nachdem der Schiffer Johann Ernst aus Bendorf, 30 Jahre alt,
Sohn von Christian Ernst und zu Bendorf im Regierungsbezirk Koblenz wohnhaft,
nachwiesen hat, das er nach vorgelegtem protokollarischem Gutachten der Prüfungskommission
vom 8. April c. die völlige Qualification zum Betriebe der Rheinischen
Schiffahrt besitzt, so wird demselben hiermit das Patent zum Betriebe der
Rheinischen Schiffahrt in ihrer ganzen Ausdehnung von dem Punkte an, wo der
Rhein schiffbar wird, bis ins Meer und umgekehrt, ingleichen, zu Befahrung
der in den Rhein ausmündenden Nebenflusse, so wie zur Führung eines
Dampfbootes, für das von der betreffenden Ortsbehörde hierunter
zu bezeichnende Schiff ertheilt. Gegeben Köln, den 13. April 1853".
Die Patente für Heinrich und Christian sind von demselben Tage, dem
1. Mai 1862 ausgestellt. Auf jedem befindet sich ein ganz genaues Signalement
des Inhabers und die Bescheinigung des Bendorfer Bürgermeisters über
den Namen des Schiffes und seine Ladungsfähigkeit . Bemerkenswert ist
die Verschiedenheit der Schiffe. Heinrich fuhr die "Anna" mit 572 Zentnern,
Christian die "Stadt Bendorf" mit 3906 Zentner, 46 Kilo Ladefähigkeit.
Noch um 20. Januar 1870 hat Heinrich 22 Zentner feuerfeste Steine für
Simon Flohr und 16 Zentner desgleichen für Susewind zusammen mit dem
Schiffer Welsch nach Köln gefahren. Außer den schon genannten
Gütern wurden von allen Brüdern Obst und Kartoffeln in erheblichen
Mengen verfrachtet. Namentlich mit letzteren, zu deren Einkauf der Main hinauf
"gepardet" wurde, war im Herbst ein flotter Handel im Gange, der sich bis
in Hinterland erstreckte. Von allen fünf Brüdern Ernst leben Kinder
und Enkel. Die Beziehung zur Schifferei und Schlepperei auf dem Rhein sind
aber erloschen.
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